Musik muß fordern …

Vor einiger Zeit hatte ich im Zusammenhang mit einer Kritik zu einer neuen Scheibe von Thurston Moore und damit zu Sonic Youth die Aussage „Musik muß fordern … “ gelesen, die mir seitdem auch nicht mehr aus dem Kopf geht.

Bewußt wurde es mir nicht erst seitdem ich Sonic Youth, The Birthdayparty, PJ Harvey oder Swans hörte, sondern auch als ich Graveyard oder The Picturebooks für mich entdeckte. Der Ausspruch trifft aber wohl für kaum eine andere Band so zu wie für die Einstürzenden Neubauten.

Die Neubauten begleiten mich schon fast seit den ersten Tagen meines sich langsam entwickelnden Interesses an Musik in der zweiten Hälfte der 80er. Gerade die ersten Scheiben habe ich über die mehrfach überkopierten Tonträger rauf und runter gehört. Armenia war z.B. eines der Stücke, die sich mir ins Hirn gebrannt haben.

Vor Kurzem entdeckte ich allerdings keinen neuen Tonträger sondern das Buch: Nur was nicht ist ist möglich. In diesem Buch von 2006 wird durch einen Zusammendschnitt von 49 Einzelinterviews die Geschichte der Neubauten nachgebildet, gleichzeitig aber auch (politische) Zustände aus den 80ern odet 90ern geschildert, die zumindest mir so nie so klar waren.

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Das Buch ist gleichzeitig eine Reise in das Berlin bzw. die Welt der 80er und 90er mit den Beschränktheiten und auch den politischen Entwicklungen und in die Klangwelten der Neubauten. Für mich war es so faszinierend, daß ich es innerhalb einer Woche schon zu 2/3 durch habe. Mein letztes Buch habe ich, obwohl es mich auch sehr interessierte irgendwo in der Mitte aufgegeben zu lesen.

Nur was nicht ist ist möglich – Die Geschichte der Einstürzenden Neubauten Taschenbuch – 10. Oktober 2006
Taschenbuch: 320 Seiten
Verlag: Bosworth Music (10. Oktober 2006)
ISBN-10: 3865432875
ISBN-13: 978-3865432872

The Picturebooks – Imaginary Horse

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Vor kurzem erst hatte ich gelesen, daß Musik fordern muß. Und beim ersten hören von The Picturebooks war dieses Zitat wieder zurück in meinem Kopf. Denn diese Scheibe fordert von Beginn an.

Aufmerksam auf The Picturebooks wurde ich durch Radio1. Die Musik lief irgendwann spät am Abend. Sie war kraftvoll, erdig und laut. Assoziationen zu Graveyard wurden geweckt und noch andere Bandnamen eines mir eigentlich recht fremden Musikstils wurden genannt.

Im Gegensatz zu Graveyard, die sich sehr präsent in mein Hirn und den Körper galoppierten, scheinen The Picturbooks auf einem zwar kräftigen, aber doch schon recht alten Pferdchen zu reiten. Gemächlich rumpeln die ersten Songs in die Ohren. Der Gedanke an Kaltblüter kommt auf. Und nur langsam gewinnen die Stücke die Kraft, die das Hören des Radiosongs versprach.

Die Pferdchen mögen bei The Picturebooks langsam galoppieren. Aber ähnlich wie bei Graveyard geht die Musik nach einiger Beschäftigung mit ihr trotzdem ziemlich direkt in Hirn und Herz. Allerdings hat die Scheibe auch Ecken und Kanten und Sprünge. Nicht immer paßt alles zusammen. Und am Ende frage ich mich immer noch, was die Jungs bei einigen Stücken so quält.

Ähnlich wie Graveyard sind aber auch The Picturebooks meine Scheibe des Monats und heiße Kandidaten für den Titel Tonträger des Jahres 2015!

http://www.thepicturebooks.com/

Graveyard – Hisingen Blues

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Der Kauf war sehr spontan, nachdem ich auf ARTE eine Liveaufnahme von Graveyard gesehen hatte. Eine zwar irgendwie altmodische aber gleichzeitig kraftvolle und sehr interessante Darstellung. Vielleicht hätte mich das Outfit und die Frisuren der Musiker abschrecken sollen. Vielleicht auch der Titel und auch der auf Led Zeppelin verweisende Aufkleber auf der CD.

Das erste Hören war dann etwas ernüchternd. Die Kraft der Liveaufnahme fehlte etwas und vor allem gab es diese vielen doch eher ruhigen Stücke oder Abschnitte. Mir kam kurz der Gedanke, ich hätte die CD eher meinem Chef schenken sollen.

Aber zum Glück tat ich das nicht. Und jetzt nach mehrmaligem Hören entfaltet sich Hisingen Blues zu etwas Großem. Die Stücke haben die live gehörte Kraft, wenn auch etwas versteckt und jetzt machen auch die ruhigen Teile Sinn. Alles fügt sich zu einem großen Ganzen und Hisingen Blues ist meine CD des Monats und wird vielleicht sogar mal Tonträger des Jahres.

Goodbye 20th Century

Goodbye 20th Century – Die Geschichte von Sonic Youth

Dem Phänomen der Band Sonic Youth mit einem Buch auf die Spur zu kommen, ist sicherlich nicht die leichteste Aufgabe. Aber Dawid Browne ist es gelungen, sowohl die eigentlich offensichtliche Bandgeschichte als auch die ständigen Zweifel am Kommerz darzustellen und gleichzeitig ein sehr unterhaltsames und leicht zu lesendes Buch zu schreiben.

Wann ich das erste mal auf Sonic Youth getroffen bin, wird Ende der Achtziger bei John Peel oder auf DT64 gewesen sein. Mein erster Tonträger fand dann wohl 1990 nach der Wende den Weg zu mir. Beim Blick ins Plattenregal stoße ich auf auf die Langrillen Goo und Death Valley 69.

In späteren Jahren kam dann der größte Teil der restlichen Platten als CD dazu und so füllen Sonic Youth heute einen breiten Raum in meiner kleinen Musiksammlung aus.

Erinnern kann ich mich auch noch stark an ein Konzert von Sonic Youth, daß ich zusammen mit Freund Steffen im Berliner Tempodrom gesehen hatte. Wobei sich die Erinnerung an das eigentliche Konzert eher darauf beschränkt, daß ich es als unheimlich intensiv behalten habe und die Musik damals voll mein Ding war. Unheimlich intensiv war es aber wohl auch, da wir zwischen Bühne und dem linken Boxenturm standen und somit die volle Musikdröhnung abbekamen.

Mehr Erinnerungen sind an den Rückweg vom Konzert und die Tage danach geblieben. Wir waren mit dem Fahrrad und Zug in die große Stadt gefahren und auf dem Rückweg fuhr der Zug nur noch bis Klosterfelde. Es muß irgendwann gegen Mitternacht oder noch viel später und vor allem über 30 Kilometer von unserem Nachtquartier entfernt gewesen sein. Dazu waren wir noch berauscht und bedröhnt von der Musik und die Fahrt schien sich ewig zu ziehen. Unsere spärlich leuchtenden Fahrradlampen zeigt kaum die Straße vor uns und der Wald war finster.

Spannend waren auch die nächsten Tage, da wir immer noch zugedröhnte Ohren hatten, was ein einziges „wie, was hast Du gesagt? …“ und unsere Umwelt hielt uns wohl für leicht bescheuert …

Da das Tempodrom auch gerammelt voll war, konnte ich beim Lesen des Buches kaum verstehen, daß es Sonic Youth in den Staaten bei ihrem Konzerten teilweise ziemlich schwer hatten und in manchen Regionen kaum auf Zuschauer kamen.

Im Laufe des Buches formt sich so das Bild einer Band, die zwar schon irgendwie berühmt werden will, aber nicht um jeden Preis.

Auf Seite 336 steht das schön ausformuliert:

Wichtiger war Ihnen eher, die möglichst komplette Kontrolle über die Projekte zu haben und vor allem die Musik zu spielen, die sie genau jetzt spielen müssen / wollen.

Durch das Lesen des Buches gibt es auch einen interessanten Einblick die Entwicklung der Untergroundscene der USA seit Beginn der 80er. Es tauchen eine Menge Namen von Bands, Musikern und den verschiedensten Künstlern auf, die zu irgendeiner Zeit zum Freundeskeis der Band gehörten.

Lydia Lunch und Micheal Gira (SWANS) gehören mit zu den ersten. Dann tauchen auch Namen von Bands oder Künstlern auf, die durch Sonic Youth in ihrer Entwicklung angeschoben wurden (Nirvana als bekanntester Act).

Spätestens nachdem all diese Verbindungen bekannt sind, wird auch klar, welche Bedeutung Sonic Youth wirklich für die Entwicklung der US-amerikanischen und sicher auch die Gitarrenmusik auf der gesamten Welt hatte.

Am Ende des Buches wird auf das aktuelle Album „teh eternal“ hingewiesen. Ein besserer Titel könnte aber leider „the final“ sein, da sich Kim Gordon und Thurston Moore getrennt haben, ist sicher auch das weitere Schicksal der Band ungewiss.

Noch existiert aber die offizielle webseite: sonicyouth.com. Auf der Seite gibt es auch eine umfangreiche Konzertchronologie, in der die Konzerte von 1981 bis 2011 aufgeführt sind: Konzertchronologie.

Das Buch Goodbye 20th Century – Die Geschichte von Sonic Youth ist als deutsche Erstausgabe beim Kiwi-Verlag erschienen (ISBN 978-3-46-04162-0) und kostet nicht einmal 15 EURO. Daher sollte es wohl in keiner Bibliothekt eines an der Musikgeschichte und vor allem an Sonic Youth Interessierten fehlen.

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Update zum Konzert:

Nach der Datenbank waren Sonic Youth 1990 im Tempodrom: 09/16/90 – Berlin, Germany @ Tempodrom, Vorband waren Babes in Toyland.

Interessant an dem Eintrag in der Datenbank ist, daß neben den Titel auch die Ansagen nachzulesen sind